Sich mit den Werken und Schriften von Kurt Schwitters zu beschäftigen heisst, sich mit Fragen auseinanderzusetzen. Fragen über die Notwendigkeit von Logik in der Kunst, über Sinn und „Unsinn“ des Kunstwerks sind eng verknüpft mit Fragen über die Behandlung des Materials, sowie über das Wirken von den jeweiligen politischen, sozialen und persönlichen Zeitumständen auf den Künstler und sein Werk.

Die Werke von Kurt Schwitters machen nicht nur durch ihren damaligen Bruch mit der Tradition auf sich aufmerksam, sondern auch durch die strenge Systematik, durch genaue Analysen und dem grossen Ideenreichtum.

Wir haben uns der Kunst Schwitters über seine „Ursonate“ genähert. Die von uns gewählte Interpretationsform ermöglichte es, unser kreatives Schaffen dem Schwitters entgegenzustellen. Daraus ist ein Stück entstanden, das den untrüglichen Stempel des Künstlers Kurt Schwitters trägt, jedoch durch unsere Interpretation eine völlig neue Hör-Erfahrung darstellt.

 

Zur Aufführung

 

Der Abend gestaltet sich in zwei Teile:

Teil 1: Statt einer Einführung

Mit Musik und kurzen Einblicken aus Kurt Schwitters Leben und Umfeld umrahmen wir – ganz und gar dadaistisch! – sein eigenwilliges Werk.
In diesem ersten Teil lassen wir Kurt Schwitters zu Worte kommen mit Zitaten aus seinen Manifesten und Essays über Kunst. Dazu Musik und Bilder, inspiriert aus dem dadaistischen Kunstschaffen, die das Wort weiter tragen in das Ungesagte.

 

Teil 2: URSONATE

Die URSONATE ist eine dadaistische Sprechoper von Kurt Schwitters, die er in den Jahren zwischen 1923 und 1932 in verschiedenen Versionen erarbeitete.
Die Fassung vom 5. Mai 1932, Stuttgart, liegt als Tondokument vor. Gleichzeitig wurde in der von Schwitters herausgegebenen Zeitschrift Merz die vollständige Partitur veröffentlicht. Diese Fassung dient als Grundlage für unsere Interpretation: Gitarrenklänge durchweben den „Text“, die wunderbar schrägen und schrillen Lautgebilde, die Schwitters erfunden hat. Es entsteht ein rhythmisches Geflecht, ein lebendiger Dialog zwischen Musik und gesprochenem Klang. Sprachvirtuosität und Improvisationskunst erwecken einen der radikalsten dadaistischen Texte zu neuem Leben.

 

 

ZUM TEXT

Die Ursonate besteht aus Lauten. Uns ging es in unserer Recherche darum, die Klangkraft der Lautfolgen herauszuarbeiten, einzutauchen in den Charakter und die Eigenart jener Laute, die in ganz bestimmten Anordnungen Worte bilden, die mit Sinn gefüllt sind. In den Lautgedichten wird eben dieser Sinn dekonstruiert, die Sprache befreit sich von Bedeutungen. Sie kommt in die Nähe der Musik.

In der Arbeit an unserem Stück haben wir den klanglichen Reichtum der Sprache entdeckt und vor allem die Freude am Lautieren.

„Die abstrakte Dichtung löste, und das ist ein großes Verdienst, das Wort von seinen Assoziationen, und wertete Wort gegen Wort; speziell Begriff gegen Begriff, unter Berücksichtigung des Klanges. Das ist konsequenter als Wertung poetischer Gefühle, aber noch nicht konsequent genug. [...] Die konsequente Dichtung ist aus Buchstaben gebaut. Buchstaben haben keinen Begriff. Buchstaben haben an sich keinen Klang, sie geben nur Möglichkeiten zum Klanglichen [...] Das konsequente Gedicht wertet Buchstaben und Buchstabengruppen gegeneinander.“

„Es kommt nicht auf das Mittel und das Material an, sondern auf die Kunst, die durch Wertung im Rhythmus entsteht, sie will nicht beeinflussen und nicht wirken, sondern befreien, vom Leben, von allen Dingen, die den Menschen belasten, wie nationale, politische oder wirtschaftliche Kämpfe. Kunst will den reinen Menschen, unbelastet von Staat, Partei und Nahrungssorgen.“

„Ich werte Sinn gegen Unsinn. Den Unsinn bevorzuge ich, aber das ist eine rein persönliche Angelegenheit. Mir tut der Unsinn leid, weil er bislang so selten künstlerisch geformt wurde. Deshalb liebe ich Unsinn.“ (Kurt Schwitters)

 

ZUR MUSIK

Einerseits verstärkt die Musik die Grossform des Werkes. Andererseits interagieren Text und Musik zuweilen stark miteinander. Die sich immer ändernde Gestaltung der Tonvorräte gibt den Wortlauten des Textes eine sich immer wechselnde Bedeutung in Zeit und Raum. Umgekehrt beeinflusst die Gestaltung der Wortlaute auch die Musik. Zu jeder Zeit wirken Klangbildung, Dynamik, Rhythmus und Dichte von Sprache und Musik aufeinander und bilden einen lebendigen Dialog. Die Dosierung und die Art des Kontrasts bilden dabei eine grosse Rolle. Zuweilen sind Musik und gesprochener Klang in ihrer „Stimmung“ und Aussage nahe beieinander. An anderen Stellen entfernen sie sich beinahe zur scheinbaren Beziehungslosigkeit.

Die Klangstrukturen der Gitarre lassen unterschiedlich viel gestalterischen Freiraum. Zuweilen sind nur einzelne Parameter wie Tonhöhe, Dynamik, Dichte, Rhythmik vorgegeben. Wenige Passagen sind streng auskomponiert. Die Form ähnelt einer Konzeptimprovisation. Durch sie gewinnen die musikalischen Aktionen eine Freiheit und Flexibilität im Kleinen innerhalb einer grösseren strengen Form. Dies erst ermöglicht eine im Moment gestaltbare Interaktion mit dem Sprecher. Die Musik soll den Text also nicht untermalen, sondern eine Möglichkeit bieten, ihn neu zu hören.

Die Gitarre als Melodie- und Harmonieinstrument mit ihren unzähligen Klang- und Spielmöglichkeiten eignet sich hervorragend dazu, die Musikstrukturen für dieses Stück zu schaffen. Ganz konventionelle Spieltechniken sind ebenso dabei wie selten gesehene und gehörte.